Unterhaltsvorschuss: immer vorrangig?

Bei dem Unterhaltsvorschuss (UV) handelt es sich gemäß §12a SGB II um eine vorrangige Leistung, die zwingend zu beantragen ist, um z.B. ALG 2 oder auch Wohngeld zu beantragen, sprich: UV ist vorrangig vor anderen Sozialleistungen.

Erster Fall: Arbeitslosengeld 2 (auch: Hartz IV)

Für den ALG-Antrag in 2014 genügte eine Bescheinigung vom Jugendamt (JA) als Nachweis, dass man versucht hat, UV zu beantragen. Auf dem Vordruck steht:

„Frau XY wollte am 30.09.14 einen Antrag auf Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UVG) für das Kind Z stellen. Da Frau XY keine Angaben zum Vater machen konnte, wurde der Antrag hier nicht aufgenommen.“

formlose Bescheinigung 511.500

In diesem Zusammenhang sei auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts (Az. 1 BvR 472/14 vom 24.02.15) verwiesen, demzufolge das „Persönlichkeitsrecht der Mutter Vorrang“ habe. In dem Fall ging es um einen betrogenen Mann, der für ein sog. Kuckuckskind Unterhalt gezahlt hat. Er wollte gerichtlich durchsetzen, dass die Frau den Namen des leiblichen Vaters preisgibt, da im Falle einer erfolgreichen Vaterschaftsanfechtung die Unterhaltsansprüche gegen den ehemals rechtlichen Vater (sog. Scheinvater) rückwirkend entfallen. Da es für den Auskunftsanspruch des Scheinvaters keine gesetzliche Grundlage gibt, wurde dem Antrag des Scheinvaters nicht entsprochen.

Daher kann das Jobcenter nicht verlangen, dass die Mutter den Namen des leiblichen Vaters preisgibt. Dies ist ein massiver Eingriff in ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung und eine Verletzung ihrer Grundrechte (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG). Wenn die Intimsphäre der Frau über dem Regressanspruch des Scheinvaters steht, so steht sie auch über dem Regressanspruch des Jobcenters.

Hätte das Jobcenter die o.g. Bescheinigung nicht akzeptiert, hätte sie gemäß §5 Abs. 3 SGB II den Antrag auch selbst beim Jugendamt stellen können. Hätte auch das nicht geklappt und das Jobcenter dennoch den Unterhalt als fiktives Einkommen vom ALG II Bezug abgezogen, hätte ich Klage beim Sozialgericht eingereicht und diesen Sachverhalt vor dem Hintergrund des o.g. Urteils erörtern lassen.

 

Zweiter Fall: Tagespflege (Tagesmutter)

Ich habe 2017 einen Antrag auf Förderung von Kindern in Tagespflege gemäß §23 SGB VIII gestellt. Dieses Mal wollte das JA, dass ich UV beantrage, weil dieser vorrangig sei. Mit UV würde sich mein Einkommen erhöhen, sodass ich einen höheren Eigenanteil bzw. Kostenbeitrag leisten müsste. Wieder lehnte ich es ab, UV zu beantragen und Angaben zum Vater zu machen. Trotzdem wollte das JA den UV als fiktives Einkommen anrechnen. Daraufhin habe ich angeboten, meine Kontoauszüge vorzulegen, um zu beweisen, dass ich de facto weder Unterhalt noch UV beziehe. Zudem bat ich das JA, mir die rechtliche Grundlage zu nennen, demzufolge es Unterhalt bzw. UV anrechnen dürfe, obwohl ich ihn de facto nicht erhalte. Letztendlich wurde der Unterhalt bzw. UV nicht angerechnet, sodass ich einen geringeren Kostenbeitrag leisten muss. Auch musste ich die o.g. Bescheinigung nicht erneut beantragen, da die Kollegin, die für UV zuständig ist, der Kollegin, die für Tagespflege zuständig ist, mitteilte, dass ich keinen UV beziehe. Also genügte die mündliche Bestätigung.

 

Dritter Fall: Wohngeld

In 2020 wollte ich erstmals Wohngeld beantragen aufgrund der Corona-Krise, die dazu führte, dass ich Kurzarbeitergeld (KUG) erhielt. Erneut wurde ich dazu genötigt, vorab einen Antrag auf UV zu stellen. Die o.g. Bedingungen hätten sich zum 1.07.2017 geändert: In §21.35 der Verwaltungsvorschriften zum Wohngeldgesetz (WoGG) steht, dass der Wohngeldantrag abzulehnen sei, wenn kein UV beantragt wird. Denn es handele sich dann um eine „unterlassene Einkommenserhöhung“. Liest man aber weiter, dann sieht man unter Absatz 12 Punkt 4, dass „[k]eine guten Erfolgsaussichten für die Durchsetzung von (höheren) Unterhaltsansprüchen im Wohngeldbewilligungszeitraum“ vorliegen, „wenn der Kindesvater nicht bekannt ist“. Des Weiteren gibt es ja das o.g. Urteil des Bundesverfassungsgerichts, demzufolge jeder Mensch selbst entscheiden darf, „ob, in welcher Form und wem Einblick in die Intimsphäre und das eigene Geschlechtsleben gewährt wird“.

Diese Informationen habe ich dem JA am 29.06.2020 zukommen lassen und darum gebeten, mir schriftlich zu bescheinigen, dass mein Antrag auf UV keine Aussicht auf Erfolg hat, damit ich Wohngeld beantragen kann.

Am 19.08.2020 antwortete das JA jedoch:

„Auch wenn keine Angaben zum Kindsvater gemacht werden können, besteht die Möglichkeit einen Antrag auf Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz zu stellen. In diesem Fall haben Sie nachvollziehbar darzulegen, aus welchen Gründen Sie keine Informationen über die Person des Kindsvaters besitzen. Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Zusammenhang entschieden, dass Sie im Interesse der Allgemeinheit Einschränkungen Ihres Persönlichkeitsrechts hinzunehmen haben (BVerfG vom 06.05.1997 – 1 BvR 409/90). Zudem verletzt das Verlangen bei der Feststellung der Vaterschaft mitzuwirken grundsätzlich nicht die nach Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz geschützte Intimsphäre der Mutter (BVerwG vom 21.11.1991 – 5 C 13/87).“

Also war ich am 18.10.2021 beim JA und habe meine Situation dargelegt. Meinem Antrag wurde wider Erwarten stattgegeben, sodass ich seit dem 1.08.2021 UV beziehe.

Am 8.02.2024 wurde ich erneut eingeladen, um erneut bei der Feststellung der Vaterschaft mitzuwirken. Da ich keine neuen Erkenntnisse beibringen konnte, hat man mir mündlich mitgeteilt, dass meinem Antrag nicht mehr stattgegeben wird. Nach §§1 UhVorschG steht einer alleinerziehenden Mutter UV auch nach Vollendung des 12. Lebensjahrs zu, wenn

  • keine Leistungen nach SGB II (sog. Bürgergeld) bezogen werden
  • man über ein Einkommen von über 600 EUR brutto verfügt
  • nur durch den UV die Hilfebedürftigkeit des Kinder vermieden werden kann

Aufgrund dessen werde ich Widerspruch einlegen, sobald mir der Bescheid samt Wortprotokoll vorliegen.

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