Leitfaden zum zivilen Ungehorsam: ein Leben ohne Meldewesen / Wohnsitz / BMG – rein hypothetisch

Das neue BMG, das seit dem 1.11.2015 greift und u.a. in §19 BMG die Wohnungsgeberbestätigung, die erst im Jahre 2002 abgeschafft wurde, wieder einführt, hat mein Bestreben, eine Leben ohne Meldewesen zu führen, bestärkt. Zu den Hintergründen:

Die Klage von Michael Ebeling (Pseudonym: freiheitsfoo) beim Bundesverfassungsgericht (Az. 1 BVR 746/14 vom 17.03.14) wurde am 10.12.15 ohne Angabe von Gründen abgelehnt. Dies ist gemäß §93d BVerfGG auch noch rechtens. Unsere Petitionen wurden ebenfalls abgelehnt. Gemäß §31 Abs. 3 AO dürfen Behörden die Angaben auf der Wohnungsgeberbestätigung nach §19 BMG (fragdenstaat-Anfrage) mit den Grundbüchern – genauer: „anhand von Grundsteuerdaten“ (S. 13 in Bundesratsdrucksache 341/15 vom 12.08.15) – abgleichen.

Aufgrund der Ablehnung von Klagen und Petitionen einerseits und zunehmender Überwachung durch den Staat andererseits, entwickelte ich diesen Leitfaden zum zivilen Ungehorsam. Gemäß §54 BMG kann ein Bußgeld erlassen werden. Gemäß Artikel 103 GG kann man für dieselbe Straftat nur einmal belangt werden (double Jeopardy).

Da ich bewusst gegen das BMG verstoßen würde (man beachte den Konjunktiv II), ich aber nicht auch noch gezwungenermaßen gegen weitere Gesetze verstoßen möchte, bedarf meiner Absicht einiges an Vorbereitung. Zudem möchte ich weiterhin am gesellschaftlichen Leben teilhaben.

1.) Ich möchte weiterhin an Wahlen teilnehmen. Dies ist auch möglich gemäß Bundeswahlordnung, wie Sie der Webseite des Bundeswahlleiters entnehmen können. Bis 21 Tage vor der Wahl muss man bei einer Gemeinde einen Antrag stellen. Den Antrag können Sie 9 Monate vor der nächsten Wahl hier herunterladen: Antrag. Welche Gemeinde für Sie zuständig ist, wenn Sie keinen Wohnsitz in Deutschland haben, entnehmen Sie hier: Zuständige Gemeinde.

Ergo: Auch ohne festen Wohnsitz darf man an Wahlen teilnehmen.

2.) Ich möchte weiterhin meiner Pflicht gemäß §1 PAuswG nachkommen und einen Personalausweis führen. In §8 Abs. 1 Satz 2 steht: „Hat die antragstellende Person keine Wohnung, so ist die Personalausweisbehörde zuständig, in deren Bezirk sie sich vorübergehend aufhält.“ Gemäß §1 Satz 3 PAuswGebV darf ein Zuschlag nur erhoben werden, wenn der Ausweis „von einer nicht zuständigen Behörde“ erstellt wird. Wenn man aber keinen festen Wohnsitz hat, ist diejenige Behörde zuständig, in dessen Bezirk man sich gerade aufhält. Daher kostet der Personalausweis auch für Personen ohne Wohnsitz 22,80 EUR (unter 24 Jahre) bzw. 28,80 EUR (über 24 Jahre).

Ergo: Auch ohne festen Wohnsitz hat man ein Anrecht auf einen Personalausweis.

3.) Ich möchte weiterhin ins Nicht-EU-Ausland reisen. Hierfür benötige ich einen Reisepass. In §19 Abs. 3 PaßG steht: „Ist hiernach keine Zuständigkeit begründet, so ist die Paßbehörde zuständig, in deren Bezirk er sich vorübergehend aufhält.“ Gemäß §15 PassV darf kein Zuschlag erhoben werden, sodass der Reisepass auch für Personen ohne Wohnsitz 37,50 EUR (unter 24 Jahre) bzw. 59 EUR (über 24 Jahre) kostet.

Ergo: Auch ohne festen Wohnsitz hat man ein Anrecht auf einen Reisepass.

Hinweis

  • Gemäß §1 Abs. 2 Satz 3 PAuswG kommt man der Ausweispflicht nach, wenn man einen Personalausweis ODER einen Reisepass hat. Zur Durchführung des POSTIDENT-Verfahrens genügt der Reisepass OHNE Meldebescheinigung nach §18 BMG, die immerhin mehrere Euro kostet. Die Anschrift wird in der Postfiliale mündlich erfragt und eingetragen. Für die Anmeldung eines Kfz braucht man allerdings bei vielen Landkreisen (z.B. Friesland) eine Meldebescheinigung, wenn man nur einen Reisepass vorlegt. Kreisfreie Städte (z.B. Oldenburg und Osnabrück) hingegen haben Zugriff auf ihr eigenes Einwohnermeldeamt, sodass der Reisepass OHNE Meldebescheinigung genügt.

4.) Ich möchte weiterhin meiner Pflicht gemäß §1 EStG nachkommen und Steuern zahlen. Hierfür muss ich meine Steuererklärung bei einem deutschen Finanzamt abgeben. In §19 Abs. 1 Satz 1 AO steht: „Für die Besteuerung natürlicher Personen nach dem Einkommen und Vermögen ist das Finanzamt örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Steuerpflichtige seinen Wohnsitz oder in Ermangelung eines Wohnsitzes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Wohnsitzfinanzamt).“

Ergo: Auch ohne festen Wohnsitz kann man seine Steuererklärung bei einem Finanzamt seiner Wahl abgeben.

Hinweis

  • Ich wurde einmal versehentlich „von Amts wegen“ abgemeldet. Dabei wurde meine Steuerklasse II auf I zurückgesetzt. Ein Anruf beim FA genügte, um die Steuerklasse II wiederzubekommen (rückwirkend für das laufende Jahr). Allerdings hatte ich mich dann zuvor beim EMA wieder angemeldet. Ich weiß nicht, ob man auch ohne festen Wohnsitz ein Anrecht auf eine andere Steuerklasse hat. Hier werde ich noch nachforschen.
  • Update: Auf Nachfrage beim FA teilte man mir mit, dass man automatisch Steuerklasse 6 bekommt, wenn man keinen Wohnsitz hat. Allerdings konnte man mir nicht sagen, auf welcher rechtlichen Grundlage dies gemacht wird. Denn auch ohne festen Wohnsitz ist eine Person doch immer noch z.B. verheiratet und hat somit ein Anrecht auf Steuerklasse III oder V. Ich werde weiter nachhaken.

5.) Sollte ich arbeitslos werden, möchte ich ALG I bzw. II beziehen.

  • Zum Bezug von ALG II (Hartz IV) steht in §36 Satz 3 SGB II eindeutig: „Kann ein gewöhnlicher Aufenthaltsort nicht festgestellt werden, so ist der Träger nach diesem Buch örtlich zuständig, in dessen Bereich sich die oder der erwerbsfähige Leistungsberechtigte tatsächlich aufhält.“ Auch ohne festen Wohnsitz hat man Anspruch auf KdU (Kosten der Unterkunft), denn in §22 SGB II werden die „tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit die angemessen sind.“
  • Zum Bezug von ALG I steht zunächst in §136 SGB III eindeutig, dass man Anspruch auf ALG I hat, wenn man arbeitslos ist und/oder eine Weiterbildung macht. Weniger eindeutig ist §327 SGB II hinsichtlich der Zuständigkeit: „Solange die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer sich nicht an ihrem oder seinem Wohnsitz aufhält, ist die Agentur für Arbeit zuständig, in deren Bezirk die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer bei Eintritt der leistungsbegründenden Tatbestände ihren oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.“ Das setzt m.E. einen Wohnsitz voraus, auch wenn man sich dort nicht aufhält. An dieser Stelle wäre ich für Tipps, Hinweise von Betroffenen dankbar.

Ergo: Auch ohne festen Wohnsitz hat man Anspruch auf ALG II (inkl. KdU) und ggf. auch auf ALG I.

6.) Ich möchte weiterhin Kindergeld beziehen. In §62 Abs. 1 EStG steht: „Für Kinder […] hat Anspruch auf Kindergeld nach diesem Gesetz, wer
1. im Inland einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder
2. ohne Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland
a) nach § 1 Absatz 2 unbeschränkt einkommensteuerpflichtig ist oder
b) nach § 1 Absatz 3 als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt wird.
Voraussetzung für den Anspruch nach Satz 1 ist, dass der Berechtigte durch die an ihn vergebene Identifikationsnummer (§139b AO) identifiziert wird“ (vgl. auch: www.frag-einen-anwalt.de).

Ergo: Auch ohne festen Wohnsitz hat man Anspruch auf Kindergeld, sofern man seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, und wenn nicht, sofern man eine Identifikationsnummer nach §139b AO hat und/oder einkommensteuerpflichtig ist.

7.) Ich möchte weiterhin ein Auto führen. Hierfür lohnt sich ein Blick in die FZV, die die Zulassung von Fahrzeugen und Personen normiert. In §46 Abs. 2 Satz 2 FZV steht: „Besteht im Inland kein Wohnsitz, kein Sitz, keine Niederlassung oder keine Dienststelle, so ist die Behörde des Wohnorts oder des Aufenthaltsorts eines Empfangsberechtigten zuständig.“ Dieser „Empfangsberechtigte“ muss in der jeweiligen Stadt, in der man das Auto zulassen möchte, gemeldet sein. Der Kreis Groß-Gerau fasst es schön zusammen.KGG_EmpfangsberechtigterViele Städte beschränken die Empfangsberechtigung auf Ausfuhr- und Kurzzeitkennzeichen. Diese Beschränkung findet sich jedoch nicht im o.g. Gesetzestext. Daraufhin schrieb ich dem Kreis Kaiserslautern am 11.04.2016 eine E-Mail.

KL_11.04.16

Am 13.04.2016 bestätigte mir der Sachbearbeiter, dass sich die o.g. Einschränkung nicht aus dem §46 FZV ergebe und somit auch ohne zeitliche Befristung ein Auto zugelassen werden könne, wenn man keinen festen Wohnsitz hat.

KL_Antwort_13.04.16

Und auch in der Empfangsberechtigung des Landkreises Darmstadt-Dieburg findet sich keinerlei Einschränkung.

Zu guter Letzt fragte ich mich bzw. das Straßenverkehrsamt (Zulassungsstelle) in Westerstede, ob der Empfangsberechtigte für die Ordnungswidrigkeiten des Fahrzeughalters haften muss. Dieses wurde verneint:

E-Mail vom 16.02.2018 von der Zulassungsstelle WST

Ergo: Auch ohne festen Wohnsitz darf man ein Auto zulassen. Allerdings braucht man hierfür einen Mitbürger mit festem Wohnsitz, der sich bereit erklärt, Empfangsberechtigter zu sein. Dieser nette Mitbürger haftet NICHT für die Ordnungswidrigkeiten des Fahrzeughalters.

8.) Seit dem 18. September 2016 hat jeder EU-Bürger ein Recht auf ein Bankkonto – auch ohne festen Wohnsitz, so steht es in der Zahlungskonten-Richtlinie RL 2014/92/EU vom 23.07.2014. Allerdings bleibt abzuwarten, was die Banken unter angemessene Kosten im Hinblick auf die Kontoführungsgebühren verstehen und ob es dann nur ein Guthabenkonto ohne Kreditkarte sein wird oder ob der Kunde ohne festen Wohnsitz z.B. nach zwei Jahren einwandfreier Kontoführung den Kunden mit festem Wohnsitz gleichgestellt wird.

Ergo: Auch ohne festen Wohnsitz hat man ein Anrecht auf ein Bankkonto.

 

10 Gedanken zu „Leitfaden zum zivilen Ungehorsam: ein Leben ohne Meldewesen / Wohnsitz / BMG – rein hypothetisch“

  1. Tolle Zusammenstellung. Auch sehr nützlich für Wohnungslose, die aus anderen Gründen keinen festen Wohnsitz haben (wie ich).
    Zum ALG II würde ich noch ergänzen, daß man ohne Wohnsitz auch keine Miete / Kosten der Unterkunft gezahlt bekommt, sondern nur den Regelsatz und die Krankenversicherung.
    Und man muß auf irgendeine Weise postalisch erreichbar sein.

    Like

  2. Für Kinder […] hat Anspruch auf Kindergeld nach diesem Gesetz, wer…
    2. ohne Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland
    a) nach § 1 Absatz 2 unbeschränkt einkommensteuerpflichtig ist oder
    b) nach § 1 Absatz 3 als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt wird.

    Und genau da sehe ich das Problem, bzw. stellt sich die nächste Frage. Ohne Meldeadresse im Inland ist man beschränkt steuerpflichtig, und nicht unbeschränkt. unbeschränkt steuerpflichtig wird man erst auf antrag. und da frage ich mich: kann ich ohne eine meldeadresse im in- oder ausland einen antrag auf unbeschränkte steuerpflicht stellen?

    aber sonst: danke dass du dir die arbeit für die recherche gemacht hast. es fehlen wohl noch einige feinheiten, z.b. beim thema arbeitslosigkeit habe ich im internet gelesen, dass man ohne festen wohnsitz wohl jeden tag zum jobcenter laufen muss um sich seinen täglichen anspruch höchstpersönlich abzuholen.

    Like

    1. Liebe Sophie,

      du hast natürlich Recht: Es fehlt Detailwissen. An dieser Stelle muss ich darauf hinweisen, dass mein Blog keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Auch ich bin auf Rückmeldungen von Betroffenen angewiesen. Diese Informationen pflege ich dann gern nach.

      LG
      campanulae

      Like

  3. Ein kleines Update: man hat auch ohne feste Meldeadresse sehr wohl einen Anspruch auf KDU im ALG 2-Bezug. Entscheidend sind die tatsächlichen Verpflichtungen zur Mietzahlung (Mietvertrag) und nicht die rechtlichen Grundlagen zum Meldewesen. Ein Wohnmobil/Wagen oder ein besetztes Gebäude kann ebenso Unterkunft sein wie eine reguläre Mietwohnung mit Meldeadresse. Selbst wenn man Eigentümer der Unterkunft ist (zB eines Wohnmobils/Wagens), hat man während des Bezuges Anspruch auf Übernahme der tatsächlichen Heizkosten.

    Like

  4. Wir möchten auch gerne im Wohnmobil leben, mein Mann und ich, soweit alles gut aber wir müssen alles erst mal gut durchdenken. Danke für diesen tollen Artikel, konnte mir einen Einblick verschaffen.

    Lg Alisa

    Like

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..